In Zürich Bus zu fahren, kann zu tiefen Einsichten führen. Besonders, wenn es sich bei den Mitfahrenden um ein begütertes Ehepaar im besten Alter handelt.
Erblickte der Herr doch in bedrohlicher Nähe seiner Gattin eine Wespe. Um seine Ruhe war es geschehen. Nach einem kurzen Diskurs über das Gefährdungspotential des kleinen Eindringlings – der seinerseits verzweifelt einen Ausweg aus der Klarsichtfalle suchte – schritt der resolute Herr, mit einem Papiertaschentuch bewaffnet, zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung. Der Versuch, den Störefried zu liquidieren schlug fehl; das Tier flüchtete in meine Richtung, um sich auf dem Fenster neben meinem Kopf niederzulassen.
Als ich das verwirrte Flugtier nun meinerseits musterte, konnte ich feststellen, dass es sich bei der bösen Wespe um eine Hummel handelte. Nun sind diese Mitreisenden zwar Stachelbewehrt, aber bei dessen Einsatz für äusserste Zurückhaltung bekannt. Ich tat meine Entdeckung gut hörbar kund, die Situation schien entspannt, der vermeintliche Feind als ungefärliches Insekt enttarnt.
Doch als es das Tier nun abermals wagte, in die Nähe unseres Helden für Recht und Ordnung zu fliegen, musste ich meinen Irrtum erkennen. Der Herr, offenbar gewöhnt, von einmal erkannten Feinden nicht leichtfertig abzulassen, sah sich gezwungen, das Tier mit seinem schwebenden Jackett anzugreifen. Er hätte es wohl auch erwischt, wäre es dem Opfer nicht gelungen, durch die Dachluke des Busses zu entkommen.
Warum erzähle ich diese Geschichte?
Nun, sie zeigt die ständige Angst des wohlsituierten vor Eindringlingen, die seinen Besitz schädigen könnten. Weiter zeigt sie, dass Actio (Gefährdung durch Angreifer) und Reactio (Reaktion des vermeintlichen Opfers) in keinem Verhältnis zueinander stehen.
Als letztes und wichtigstes zeigt sie aber, dass die Enttarnung eines Feindbildes noch keineswegs zu dessen Revision führt. Einmal als Feind erkannt, immer ein Feind! Auch wenn die Analyse lediglich auf der gelb-schwarzen Zeichnung des Insekts beruhte. Schliesslich sind auch Wespen gelb-schwarz gezeichnet! Auch wenn die Hummel in ihrem ganzen Leben ihren Stachel nie einzusetzen gedachte, so bleibt sie doch eine potentielle Gefährdung (man könnte sie ja mit einer Wespe verwechseln!) und gehört liquidiert!!
Diesen Text habe ich ca. im Jahr 2000 geschrieben