Im Folgenden entwerfe ich eine mögliche Reform der Wirtschaftsordnung. Diese soll helfen, als Gesellschaft auf diesem Planeten gut zu existieren. Meine These beginnt mit einer Definition der Aufgaben der Wirtschaft:
- Den Menschen ein selbstbestimmtes und genussvolles Leben in Würde ermöglichen.
- Den Planeten mit seiner Vielzahl von Tieren, Pflanzen und Pilzen erhalten.
- Die kulturelle und geistige Entwicklung der Gesellschaft fördern und sie dabei unterstützen, die Erkenntnis über die Welt zu vertiefen.
Wirtschaft existiert seit Menschen anfingen, ihre Nahrung organisiert selbst zu produzieren. Eine Vielzahl von Organisationsformen wurden seither erprobt und viele erwiesen sich als unfähig, die deklarierten Ziele zu erreichen.
Derzeit erleben wir ein Wirtschaftssystem, das die individuelle Handlungsfreiheiten als Maxime für die wirtschaftliche Tätigkeit deklariert. Die daraus entstandene Wirtschaftsform zeigt eine klare Überlegenheit bei der Förderung der Innovation und der Entwicklung ständig neuer Technologien. Die Effizienz wurde auf ein Mass gesteigert, das nie zuvor erreicht wurde. Die kulturelle und wissenschaftliche Entwicklung erfreut sich einer Freiheit und verfügbarer Ressourcen wie in keinem anderen System. Diese Stärken des Modells werden ergänzt durch einige Schwächen. Die Verteilung des Reichtums wird stetig ungleicher. Sie erreicht bereits ähnliche Verhältnisse wie unter den europäischen Monarchien der Neuzeit. Die natürlichen Ressourcen werden geplündert und die Ökosysteme überlastet.
Dank der Geschichte der Sowjetunion und der von ihr entwickelten Planwirtschaft sehen wir eine Antithese zur freien Marktwirtschaft, die sich unter vergleichbaren gesellschaftlichen und technischen Voraussetzungen entwickeln konnte. Nach einer geistigen und kulturellen Blüte zu Beginn zog die durchgeplante Wirtschaftsweise einen vollständig bürokratisierten Überwachungsstaat nach sich. Innovation fand kaum mehr statt, kulturelle Freiheiten waren nur noch sehr begrenzt vorhanden. Ein selbstbestimmtes und genussvolles Leben war für Bürger der Sowjetunion schon zur Endzeit des Leninismus und erst recht ab Stalin nicht mehr möglich. Das System hatte jedoch auch Stärken, die im Westen gerne übersehen werden. Die Integration der Frauen in die Wirtschaft war deutlich weiter fortgeschritten als in allen anderen Regionen. Der Bildungsgrad der Bevölkerung vergleichbar mit den marktwirtschaftlich stärksten Ländern. Zudem entwickelte sich ein informelles Tauschsystem, das einige Mängel der offiziellen Planwirtschaft ausgleichen konnte.
Leider trat im selbst deklarierten realen Sozialismus an Stelle einer Vision einer besseren Wirtschaft für die Menschheit ein Vernichtungssystem zum Erhalt der Pfründe der bestehenden Eliten. Eine Gefahr, der jede Gesellschaft ausgesetzt ist, wie wir heute auf allen Kontinenten leider erneut erleben müssen.
Interessanterweise wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit der sozialen Marktwirtschaft bereits eine Synthese aus Kapitalismus und Planwirtschaft entwickelt, welche die Innovationskraft erhielt und gleichzeitig breite Kreise am wirtschaftlichen Erfolg des Modells teilhaben liess. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks steht dieses Modell jedoch unter starkem Druck zur Demontage. Eine wohlhabende Elite ist seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts mit der Einrichtung eines neuen Feudalismus beschäftigt. Interessanterweise nennen sie ihre Politik selbst „Neoliberalismus“ oder „libertäre Ordnung“. Obwohl der Liberalismus wegen der enormen Vermögensunterschiede im vorrevolutionären Frankreich und der fehlenden Möglichkeiten auf eine selbstbestimmtes und genussvolles Leben für breite Kreise entstand. Exakt diejenigen Mängel, die der Neoliberalisums oder die Libertären wieder erreichen wollen.
Selbst für wohlhabende Eliten zeigte die soziale Marktwirtschaft eine weit stabilere Strategie, wie sich Reichtum schaffen und erhalten lässt. Für die anderen 99% der Gesellschaft stellt sich die Frage schon gar nicht, welches System besser geeignet ist, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Doch auch die soziale Marktwirtschaft war noch nicht genügend auf die bereits deklarierten Ziele ausgerichtet. Eine langfristig erfolgreiche Wirtschaft muss den Menschen einen Weg in eine bessere Zukunft weisen und den Planeten erhalten. Ein System, dass auf wettbewerbsorientierter Ressourcenverschwendung basiert, muss unweigerlich scheitern. Historisch zeigt sich jedoch deutlich, dass der Wettstreit der Ideen, die Möglichkeit, Neues auszuprobieren (auch dabei zu scheitern), gepaart mit einem Nachfragesystem, bei dem möglichst viele Menschen darüber mitentscheiden, was sie wollen, besser zur Steuerung der Wirtschaft geeignet ist, als durchgeplante Vorgaben einer kleinen Auswahl von Personen. Dieser generelle Grundsatz benötigt eine sorgfältige Analyse nach Sektoren. Er setzt voraus, dass die Nachfrager:innen überhaupt in der Lage sind, informierte Entscheide zu treffen und auf deren Grundlage zu wählen. Grandios ruinierte Eisenbahnsysteme wie das Britische oder Deutsche zeigen eindrücklich, dass diese Maxime im Bereich der Infrastruktur nicht funktioniert. In diesem Sektor ist es den Nachfrager:innen nicht möglich, informierte Entscheide zu treffen: die Investitionszyklen sind zu lange, die Wege sind zu festgelegt, was zu einem starren Angebot führen muss und eine nachfragebasierte Selektion verunmöglicht. Man muss jedoch festhalten, dass diese Systeme in demokratischen Staaten ebenfalls in einem System definiert werden, das möglichst viele Personen mitentscheiden lässt. Für die Infrastruktur ist der demokratische Entscheidungsprozess die richtige Strategie.
Eine weitere Sonderstellung geniesst die Landwirtschaft, weil sie die Nahrung produziert, die wir alle zum Überleben benötigen und weil sie das Aussehen der Landschaft massgeblich definiert. Somit auch für die Erhaltung des Planeten mit seiner Vielfalt an Tieren, Pflanzen und Pilzen entscheidend ist. Wichtige Punkte sind in diesem Sektor die Sicherstellung des Nährstoffkreislaufs, der optimale geringstmögliche Düngereinsatz, die Erhaltung der Natur, sowie der Blick auf die Gesamtproduktion der Bauernhöfe. Wie viele Kalorien werden produziert pro Fläche? Welchen Wert haben diese ernährungsphysiologisch? Welche Lebensräume für Wildtiere, Pflanzen und Tiere werden geschaffen oder erhalten? Wie vielen Bauern wird ein lebenswertes Leben ermöglicht?
Für die weiteren Sektoren sollte eine weitestgehende wirtschaftliche Handlungsfreiheit angestrebt werden, um Innovation zu ermöglichen und die kulturelle sowie geistige Entwicklung der Gesellschaft zu fördern. Die Akteur:innen sollen ihre Angebote frei gestalten können. Einschränkungen sollen nur soweit möglich sein, als sie für die Sicherheit der Nutzer:innen, der Vermeidung schädlicher Auswirkungen auf den Planeten oder der Verhinderung von Angeboten gegen Treu und Glauben nötig sind. Die Nachfrage soll ebenso frei gestaltet werden, mit denselben Regeln für mögliche Einschränkungen.
Heute basiert die Verteilung von Gütern darauf, dass Hersteller einen Überfluss an Gütern erzeugen, aus welchen die Konsumenten dann wählen. Ein System, das mit grossen Verlusten einhergeht, die als Abfall verwertet werden müssen. Die schnellen modernen Kommunikationsmittel ermöglichen ein weit effizienteres System. In diesem stellen Hersteller lediglich Ausstellungsstücke her und die Kundschaft bestellt Kopien davon. Ein solches Bestellmodell würde helfen, Verluste massiv zu reduzieren. In Bereichen mit aufwändigen Produkten wie Möbeln oder Transportmitteln kommt es bereits heute zum Einsatz. Es verbreitet sich zusehends auch bis in die Entwicklung neuer Produkte, z.B. über Modelle der Investorensuche, die bereits einen Konsumentscheid treffen, bevor das Produkt fertig entwickelt ist (sogenanntes crowd-funding).
Ein System von freiem Angebot und Nachfrage erzeugt inhärent Gewinner und Verlierer. Heute stellen sich die finanziellen Gewinner auf den Standpunkt, dass sie aus eigener Kraft reich geworden seien und nichts davon an die Gesellschaft zurück geben müssten. Nichts könnte weiter von den realen Verhältnissen entfernt liegen, als diese Idee. Dank des Wirtschaftssystems war es diesen Personen möglich, ihren Reichtum anzuhäufen. Sie wurden von ihren Kunden reich gemacht. Weil sie den Kunden das anboten, was diese wollten. Diese Faktoren sind ausdrücklich gewünscht und zur Belohnung sollen die Gewinner reich werden dürfen. Über längere Zeiträume betrachtet führt es jedoch zu immer grösseren vererbten Vermögen. Was dem freien Markt diametral widerspricht und zu einer feudalen Gesellschaft führt. Es ist daher zentral für eine stabiles innovatives Wirtschaftssystem, dass die erzeugten Reichtumsunterschiede ausgeglichen werden. Auch dafür haben viele westliche Staaten ein Modell entwickelt, als sie noch wirklich liberal waren: die Erbschaftssteuer. Diese ist unbedingt zu stärken, wobei auf zwei Faktoren Acht gegeben werden muss:
- Vermögen zu haben ist nicht per se schlecht, die Erbschaftssteuer soll lediglich die zu grosse Akkumulation von Vermögen bei wenigen Personen korrigieren.
- Die Verteilung der bestehenden Vermögen darf nicht zu einer korrupten Bürokratie führen, die sich daran bereichert.
Um den ersten Punkt zu berücksichtigen, muss eine Vermögenssteuer mit Freigrenzen ausgestattet werden. Die Kinder von Reichen sollen ihr eigenes Leben in gewohnter Weise weiterführen können. Für den Wohlstand ihrer eigenen Kinder sollen sie jedoch selbst sorgen müssen. Die Höhe der Freigrenze soll sich also danach richten, was die direkten Nachfahren selbst verprassen können, der Rest soll an die Gesellschaft zurück verteilt werden. Wichtig ist auch, dass diese Freigrenze der Teuerung angepasst wird. Zudem müssen juristische Möglichkeiten zur Schaffung «herrenloser» Vermögen vermieden werden. Stiftungen sollen nicht über Generationen früher angehäuftes Vermögen an Nachfahren auszahlen können, um so die Erbschaftssteuer zu umgehen.
Für die Rückverteilung ist Transparenz entscheidend. Es braucht Mechanismen, welche die Werte zuverlässig der breiten Bevölkerung zukommen lassen, ohne sie dabei zu vernichten. Bei Immobilien ist eine Überführung in genossenschaftliches Kapital denkbar, bei Unternehmen der Verkauf von Anteilen. Die Verteilung könnte so geschehen, dass Partizipationsscheine pro Kopf an die Bevölkerung verteilt werden, mit welchen sich diese in die besteuerten Werte einkaufen können.
Ein Wettbewerbssystem produziert zwangsläufig Verlierer:innen: aufgrund der Vorteile des Wettbewerbssystems für die gesellschaftliche Entwicklung sind diese leider unvermeidlich. Das bedeutet jedoch auch, dass die Gesellschaft eine Verantwortung für die Verlierer:innen trägt. Benötigt wird eine minimale Grenze für eine garantierte Existenz. Ein Sicherheitsnetz, unter das die Verlierer:innen nicht fallen können. Ein solches System hat nichts mit Almosen zu tun. Auch gibt es keine Schuld, die durch barmherzige Hilfe gelindert wird. Es ist ein nötiger Teil der freiheitlichen Wirtschaftsordnung und ein Anspruch, den jede Person in einem solchen System haben sollte. Am simpelsten lässt sich dieses Auffangnetz durch ein bedingungsloses Grundeinkommen realisieren, welches das Existenzminimum finanziert.
Mit dieser These möchte ich einen Beitrag leisten zur Diskussion, wie wir unsere heutigen Möglichkeiten nutzen können, um für möglichst viele Lebewesen eine würdige und für uns Menschen erfüllende Existenz auf unserem Planeten zu ermöglichen. Dieser Text wurde im Mai 2025 geschrieben und veröffentlicht.